Zeit der Gänse

Der Oktober ist gekommen, die kalte Jahreszeit steht vor der Tür oder hat gar schon einen Schritt herein gewagt.
Während Lämmer und Hasen Symbole für den Frühling sind, haben Herbst und Winter ihr eigenes „Wappentier“ – die Gans. Die wilden Artgenossen ziehen in ihrer typischen V-Formation am Himmel vorüber und allmählich beginnt die Schlachtzeit für Hausgänse. Diese erlebt ihre Höhepunkte um St. Martin und Weihnachten. Doch Gänse haben noch viel mehr Interessantes zu bieten als saftig-zartes Fleisch.

Wer hätte zum Beispiel gewusst, dass…

…Gänse bis zu 40 Jahre alt werden können?

…Gänse seit der Jungsteinzeit (6000 bis 5000 Jahre v. Chr.) als Haustier gehalten werden?

…die in Europa gezüchteten Hausgansrassen alle von der Graugans abstammen?

…es etwa 15 bis 20 verschiedene Hausgansrassen in Deutschland gibt?

…viele Hausgänse nicht flugfähig sind?

…weibliche Gänse bis zu 65 Eiern pro Legeperiode legen?

Die älteste und gleichzeitig größte Hausgans Deutschlands ist die Emdener Gans. Ein Ganter dieser Rasse kann bis zu 12 kg wiegen und einen Meter groß werden! Aufgrund Ihrer trotz der Größe eleganten Erscheinung wird sie auch „Schwanengans“ genannt.
Die Zucht der Emdener Gans lässt sich nachweislich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Heute ist diese Gänserasse, wie viele andere auch, vom Aussterben bedroht. Grund dafür ist die geringe Nachfrage nach Gänseeiern und die Tatsache, dass eine Emdener Gans als Braten für die heutigen, kleinen Familien schlichtweg zu groß ist.
Weitere seltene Gänserassen sind zum Beispiel: Diepholzer Gans, Leinegans, Lippegans und Bayrische Landgans.

Ein sagenhafter Vogel…

Schon aus der Antike sind Sagen über Gänse und deren Nutzen überliefert. Bei den Griechen war die Gans der Göttin Persephone heilig. Sie galt als lieblicher Vogel, dessen Schönheit bewundert wurde, und diente unter anderem als Liebesgeschenk.

Rom hat seine ganz persönliche Gänsesage. Nach der Stadtgeschichte des Livius retteten die heiligen Gänse des Juno-Heiligtums auf dem Kapitol-Hügel die Stadt im Jahre 387 v. Chr. vor einer gallischen Erstürmung. Die Tiere bemerkten den nächtlichen Angriff und weckten die Römer mit ihrem Geschnatter. Nach dieser Legende versinnbildlichen die kapitolinischen Gänse aufmerksame Warner und sie genossen seither besondere Verehrung.

Auch hierzulande ist die Gans in die Sagenwelt eingegangen.
Sie ist unter anderem das Kennzeichen des hl. Martin.  Er, der seinen Mantel mit dem frierenden Bettler teilte, wurde im Jahre 371 / 372 auf Drängen des Volkes Bischof von Tours. Dies geschah trotz Vorbehalten seitens des Klerus und gegen seinen Willen.
Die Legende berichtet, er habe sich in einem Stall versteckt, um der Wahl zu entgehen, doch hätten ihn die Gänse durch ihr Schnattern verraten. Der volkstümliche Brauch der Martinsgans, die man vielerorts zum Martinsfest verzehrt, rührt wohl von dieser Geschichte her.
Im Märchen „Die goldene Gans“ ist der Vogel ein Symbol für das Wertvolle, und in der traditionellen Deutung gilt die Gans als Sinnbild des „kleinen Glücks“, der gesicherten Lebensumstände eines wohlhabenden Kleinbürgertums.

Warum wandern Gänse eigentlich genau am 11. November in die Bratröhre? Dies hängt mit der besonderen Bedeutung dieses Datums zusammen.
Zunächst ist es der Tag des oben erwähnten Heiligen Martin. Mit ihm beginnen die 40 Tage vorweihnachtlicher Fastenzeit. Der Martinstag war aber vielerorts auch der Termin für Pachtzahlungen und Gänse waren ein beliebtes Zahlungsmittel. Schon Karl der Große soll seine Beamten ausdrücklich zur Gänsehaltung ermuntert haben.
Häufig wurde am 11. November auch das Gesinde entlassen und mit einer Gans beschenkt sowie Mägde und Knechte neu eingestellt. Das bäuerliche Jahr wurde also mit diesem Tag abgeschlossen.
Ein anderer Brauch beendet mit der Weihnachtsgans wiederum die Fastenzeit. Ab Weihnachten ist das Schlemmen wieder erlaubt.

Gans schön schlau…

Wissenschaftler der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau haben herausgefunden, dass Graugänse über eine außerordentlich hoch entwickelte soziale Intelligenz verfügen. Genaues Beobachten hat gezeigt, dass das Sozialverhalten der Gänse sehr komplex ist. Sie kennen die familiären Verflechtungen innerhalb der Kolonie, wissen wer mit wem verbandelt ist, wer mit wem gut kann und mit wem nicht. In einer Kolonie von etwa 100 Gänsen kennen sich alle.
Eines kann man diesen Vogel also wirklich nicht nennen: „Dumme Gans“!

Gans kulinarisch…

Gänse sind fett, jawohl. Aber wem ist bewusst, dass Gänsefett zu den für unsere Gesundheit wertvollsten tierischen Lipiden gehört? Das liegt an der großen Menge einfach ungesättigter Fette. Diese sind bekannt dafür, dass sie den Cholesterinspiegel senken, also gesundheitsfördernd wirken. Sie sind auch in Olivenöl und Fisch enthalten.
Darüber hinaus kann man Gänsefett sehr hoch erhitzen. Es eignet sich also bestens zum Braten.
Allerdings gilt es wie bei allem, ein Übermaß zu vermeiden. Schließlich liegt fettes Essen leider schwer im Magen.

Die Saison beginnt im September mit der Stoppelgans. Diese verdankt ihren Namen dem alten Brauch, Gänse über die abgeernteten Stoppelfelder zu treiben. Dort fraßen die Tiere die liegen gebliebenen Körner und benötigten daher kaum weiteres Futter – praktisch für die Bauern. Die Gänse, die in dieser Zeit geschlachtet wurden, waren bzw. sind etwa acht Wochen alt und haben noch nicht umgefiedert. Sie sind besonders zart, fettarm und bekömmlich.
Später geschlachtete Gänse sind schwerer, fetter aber auch aromatischer. Dafür benötigen sie etwas mehr Zeit im Ofen.

Für welche auch immer man sich entscheidet. Das wichtigste ist, dass die Gänse Freilauf bekommen haben und langsam gemästet wurden. Dann kann man sicher sein, dass die Gans ein gutes Leben hatte und sich auf einen wohlschmeckenden Braten freuen.

Schnell gezogene Hafermastgänse aus den osteuropäischen Ländern können nur zweite Wahl sein. Die Tiere stammen in der Regel aus Massenhaltung und sind der Antipod zur Weidegans vom deutschen oder noch besser regionalen Hof.
Dass es gute Qualität nicht zu Dumpingpreisen geben kann, dürfte klar sein. Etwas Geld sollte man in einen guten Gänsebraten durchaus investieren. Schließlich gibt es den auch nicht alle Tage.

Über stefanie

Geboren 1976 in Offenburg. Grundschulzeit und Gymnasialzeit in Offenburg. Nach dem Abitur ein Jahr Arbeit in einem Museum für experimentelle Archäologie. Studium der Ethnologie/Ur-und Frühgeschichte/Soziologie an LMU München, Fu/HU Berlin. Feldforschung im französischen Jura mit einem fahrenden Lebensmittelhändler. Abschluss des Studiums als Magistra artium. Während des Studiums Nebentätigkeit als Verkäuferin bei Manufactum Brot&Butter. Später Produktmanagerin für den Food-Bereich im gleichen Unternehmen. Seit 2007 freie Journalistin und Foodscout.
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Eine Antwort auf Zeit der Gänse

  1. Martin sagt:

    Das ist ja alles Gans interessant, nun bin ich auf die Rezepte gespannt. ;-)

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