Bibbeleskäs

Zu meinen frühen Kindheitserinnerungen gehört das abendliche gemeinsame „Veschpern“. Zwar haben wir häufig warm zu Abend gegessen, doch regelmäßig gab es auch die traditionelle Schwarzwälder Brotzeit. Zu einem echten badischen Vesper gehört für mich unbedingt der Bibbeleskäs, ein selbst angesetzter Weißkäse bzw. Quark.

Bibbele ist das badische Wort für Küken. Der Name Bibbeleskäs kommt laut Aussage meiner Oma daher, dass man diesen früher auch den Küken zu fressen gab. Vielleicht, um diese einigermaßen schnell zu mästen bzw. groß zu ziehen.

Durch die preiswerten Zutaten war Bibbeleskäs immer eine Speise der einfachen Leute. Fettarm und eiweißreich ist er eine ideale, leichte und erfrischende Sommerspeise.

Die Herstellung dieser Köstlichkeit ist ganz einfach, denn sie macht sich quasi von allein, durch eine so genannte „wilde Säuerung“.

Für echten, authentischen Bibbeleskäs gibt man Rohmilch in ein Steingutgefäß und lässt diese, mit einem Tuch oder Teller bedeckt, so lange ohne Kühlung (!) stehen, bis die Milch sauer und stöckelig (fest) geworden ist. Im Sommer passiert das manchmal einfach über Nacht.

In den warmen Monaten stand bei meiner Oma praktisch ständig eine Schüssel mit Milch herum, die darauf wartete sauer zu werden. Nirgendwo schmeckte der Bibbeleskäs so gut wie bei Oma und sie schob den Erfolg stets ihrer uralten Schüssel zu. Die war im Inneren bereits stark krakeliert. In den Rissen müssen sich die Milchsäurebakterien besonders gut gehalten haben, denn bei Oma ging die Säuerung immer enorm schnell vonstatten.

Ein Durchschlag (Sieb mit großen Löchern) aus Steingut wird auf eine Schüssel gesetzt und mit einem Mull- oder Passiertuch aus Baumwolle ausgelegt. Dann wird die gestockte Milch hineingegossen. Man schlägt die Enden des Tuches über der gestockten Milch zusammen und lässt das Ganze einige Stunden, am besten über Nacht oder noch länger, stehen. In dieser Zeit läuft die überschüssige Molke ab und sammelt sich in der Schüssel. Im Tuch zurück bleibt der Bibbeleskäs. Je nachdem wie lange er abtropfen konnte ist der Bibbeleskäs feuchter oder trockener.
Der Rahm, der sich oben auf der gestockten Milch gesammelt hat, ist als cremige, gelbliche, festere Masse zu erkennen. Er wird mit einer Gabel untergerührt.

Traditionell wird der fertige Bibbeleskäs mit fein gehackter Zwiebel, Schnittlauch und Petersilie, Kümmel, Salz und Pfeffer angemacht. Wer mag, kann noch etwas gehackten Knoblauch dazu geben. Dazu isst man Pellkartoffeln oder Brägele (Bratkartoffeln), Bauernbrot, Wurst und Speck oder Wurstsalat.

In nahezu jeder badischen Wirtschaft, in jedem Gasthaus, stand echter Bibbeleskäs auf der Speisekarte bis EU-Vorschriften den Verkauf verboten. Grund dafür ist die Herstellung aus Rohmilch, die als Quelle für Infektionen gilt. Über Jahre bekam man daher beim Vesper im Gasthaus nur noch einen kläglichen Ersatz aus Quark gereicht. Der kann geschmacklich niemals mit echtem Bibbeleskäs mithalten. Durch die verwendete Rohmilch hat dieser ein ausdrucksstarkes, vielschichtiges Aroma und eine ganz besondere Struktur.
Heute ist der Verkauf von echtem Bibbeleskäs in der Gastronomie wohl wieder erlaubt. Zumindest wurde mir das berichtet.

Doch auch, wenn man nicht so leicht an Rohmilch kommt oder auf Nummer sicher gehen möchte, kann man einen richtig guten Bibbeleskäs herstellen. Zwar hat diese Variante nicht ganz das Aroma des Originals, schmeckt aber dennoch großartig. Hier kommt das Rezept:

2 L (Bio-)Vollmilch nicht homogenisiert
1 kl Becher Naturjoghurt

Wichtig: die Milch darf nicht homogenisiert sein. Dadurch rahmt sie schön auf, der Rahm schwimmt also oben. Das sorgt später für die typische Struktur des Bibbeleskäs.
Die Milch in ein Steingutgefäß gießen und den Joghurt unterrühren. Das Ganze muss mehrere Tage ungekühlt stehen. Dadurch, dass die Milch pasteurisiert ist, dauert das Säuern länger und braucht Unterstützung durch den Joghurt.
Wenn die Milch nach einigen Tagen fest geworden ist (im Idealfall hat sich ein fester „Kern“ in der Molke gebildet) wird sie, wie oben beschrieben, in ein mit einem Mulltuch ausgelegtes Sieb gegossen.
Die aufgefangene Molke kann übrigens prima weiter verwendet werden. Gut gekühlt und mit Fruchtsaft gemischt ist sie ein erfrischendes Sommergetränk.

Noch schneller geht ein weiteres Bibbeleskäs-Ersatz-Rezept:

1 P Schichtkäse
Schlagsahne

Der Schichtkäse wird mit etwas flüssiger Sahne vermengt und anschließend angemacht. Das einzige Problem dabei ist, dass nicht überall in Deutschland Schichtkäse zu bekommen ist.

Guten Appetit!

Über stefanie

Geboren 1976 in Offenburg. Grundschulzeit und Gymnasialzeit in Offenburg. Nach dem Abitur ein Jahr Arbeit in einem Museum für experimentelle Archäologie. Studium der Ethnologie/Ur-und Frühgeschichte/Soziologie an LMU München, Fu/HU Berlin. Feldforschung im französischen Jura mit einem fahrenden Lebensmittelhändler. Abschluss des Studiums als Magistra artium. Während des Studiums Nebentätigkeit als Verkäuferin bei Manufactum Brot&Butter. Später Produktmanagerin für den Food-Bereich im gleichen Unternehmen. Seit 2007 freie Journalistin und Foodscout.
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Eine Antwort auf Bibbeleskäs

  1. Vielen Dank fuer den interessanten Artikel.
    Ich erinnere mich, dass der Bibbeleskaes in metallene Foermchen mit Loechern gefuellt wurde, damit er dick wird.
    Gibt es diese metallenen Foermchen mit Loecher irgendwo zu kaufen.
    Heribert Pfefferle

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